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DER ROTE PUNKT
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Depression

 


Letztens hat es also auch mich erwischt. Für alle, die schon gerätselt haben, warum "Der rote Punkt" so lange nicht erscheint: Ich leide an einer Depression. Und zwar an einer allumfassenden, deren Ausmaß ich selbst in meinen kühnsten Träumen nicht ahnen konnte. Alle Energie war plötzlich verschwunden und macht seit Monaten ernsthaften Kopfschmerzen Platz, dessen Ursache aber trotz intensiver Suche nicht gefunden wurde. So fiel ich in ein Dasein ohne echten Inhalt, die Zeit verging und auch diese Depression, die langsam verschwindet. Angefangen hatte alles mit zwei Nachrichten. Die erste war, dass der Chefkoch von allen politischen Ämtern zurücktritt, dieser Chefkoch aus Hessen, dessen Bestehen ein unerschöpflicher Brunnen der Inspiration für den "Roten Punkt" gewesen ist. Ich war schon angeschlagen, deutlich angeschlagen, als mich die Nachricht erreichte, dass die Bierpreise zum kommenden Oktoberfest erhöht werden. Ich gestehe es, das gab mir erst einmal den Rest.

Also gab ich mich meiner Depression hin, ich liess die Mixa-Affäre an mir abprallen, zu der ich, ich gestehe es gerne, sowieso nicht die passenden Worte gefunden hätte, sodass ich letztendlich an Stelle Mixas zum Prügelknaben der Nation erklärt worden wäre. Denn nichts ist tödlicher als nicht die richtigen Worte zu finden und so gab ich mich nicht nur meiner Depression, sondern auch meiner Sprachlosigkeit hin. Depression ist u. a. gekennzeichnet durch den Verlust, Freude oder Trauer empfinden zu können und so beobachtete ich die Welt von dem Standpunkt des Unbeteiligten aus. Ich fühlte mich tatsächlich nicht mehr Teil dieser Welt, was den unschätzbaren Vorteil hatte, dass ich die Welt sezieren konnte, ohne, wie es davor der Fall war, durch Konflikte geplagt zu werden. Allerdings wurde ich geplagt durch eine Antriebshemmung, ich brachte meine Tage lesend am Computer durch, nur um mich abzulenken van den durchaus dunklen Grundgefühlen, die mich beherrschten.

Und so ging alles spurlos an mir vorbei, die Unfähigkeit der schwarz-gelben Regierung zum Regieren ebenso wie die Unfähigkeit der Opposition, daraus echtes Kapital zu schlagen, bis hin zur beinahe misslungenen Bundespräsidentenwahl, kurz gesagt, das Kasperletheater, das sich Politik nennt und wirklich zu einer Schmierenkomödie verkommen ist. Unter normalen Umständen hätte alleine das ganze Hefte des "Roten Punktes" gefüllt, so aber blieb ich still. Dasselbe gilt für die Einführung der Netzzensur durch die Hintertür EU, hinter der sich jetzt alle diejenigen verstecken, die diese EU-Richtlinie vorangetrieben haben, auch das eine Schmierenkomödie der ersten Ordnung. Tausende Nachrichten zogen an mir vorbei, die eine Glosse wert gewesen wären, doch ich blieb still. Dasselbe galt auch für durchaus erfreuliche Angelegenheiten wie etwa die Fussball-WM. Es liess mich kalt. Ich war wie gelähmt und bin es teilweise jetzt noch.

Immerhin, mein Interesse am Leben erwacht ganz langsam wieder und deshalb habe ich mich einmal in die Wikipedia vertieft, diesen unerschöpflichen Brunnen des Wissens und auch gelegentlich des Halbwissens. Im Artikel über Depression habe ich wenigstens eine schlüssige Erklärung für meine Kopfschwerzen gefunden, die ich die kommenden Tage mit meinen Ärzten, die schon am Verzweifeln sind, besprechen werde. Nichts ist schlimmer für einen Arzt, als ein Phänomen, dass unerklärlich scheint. Und so werde ich jetzt mein eigener Arzt, ich selbst ziehe mich aus dem tiefen Loch und alles in mir sagt mir, dass ich auf dem richtigen Wege bin. Mein Gefühl trügt mich nur selten und liefert mir Erklärungen, auf die der Verstand nie und nimmer kommen würde. Als Beispiel möge die Bestrafung der Autofahrer dienen, die nicht gut fahren können und deshalb unangenehm auffallen. Diese Bestrafung ist streng geheim und glänzt ganz besonders dadurch, dass die betroffenen Autofahrer diese sich freiwillig auferlegen. Zur Warnung für andere Verkehrsteilnehmer müssen sie ein Tuch an ihrem Auto befestigen, vorzugsweise ins geschlossene Hinterfenster geklemmt, das oben einen schwarzen Balken, in der Mitte einen roten und unten einen gelben Balken hat. Der schwarze Balken symbolisiert das schwarze Schaf, der rote ist die Warnfarbe und der gelbe gibt an, dass das alles eine Idee der FDP ist. Besonders unfähige Autofahrer befestigen sogar zwei dieser Tücher, auf jeder Seite eines und einige, das ist jetzt beinahe schon pervers in diesem heissen Sommer, ziehen ihren Aussenspiegeln warme Socken in denselben Farben an. Genial ist die Deutlichkeit dieser Maßnahme und deren Freiwilligkeit, die auf tiefenpsychologischen Erkenntnissen basiert. Schuldgefühle werden kanalisiert, gleichzeitig wird die Verkehrssicherheit erhöht und niemand empfindet es als Strafe, wenn er aus eigenem innerem Antrieb gezwungen wird, sich so ein Tuch ans Auto zu hängen. Namentlich von der FDP wünsche ich mir mehr solcher genialen Schachzüge!

Es ist also deutlich ersichtlich, dass ich noch lange nicht zur gewohnten Form aufgelaufen bin und das beginnt mich schon wieder zu deprimieren. Ich muss noch ganz vorsichtig sein und in kleinen Schritten zum alten Ich zurückfinden. Dieses Heft des "Roten Punktes" habe ich sowieso nur für diejenigen Leser verfasst, die angefragt haben, wo denn das nächste Heft bleibt. Und auch für diejenigen Leser, die wissen wollen, warum ich in Himmels Namen Linux verwende und nicht wie jeder normale Mensch Windows. Hier ist es also, das neue Heft, anders als gewohnt, aber immerhin. Der "rote Punkt" ist bekanntermaßen nicht nur Satire, alles hat dort Platz, wie auch der ernsthafte andere Beitrag dieses Heftes und ich habe das Gefühl, endlich wieder einmal etwas getan zu haben. Das Schreiben hat mich viel Schweiss und Mühe gekostet, wobei der Schweiss den tropischen Temperaturen und die Mühe meiner Depression zuzuschreiben sind. Es kann also einige Zeit dauern, bis das nächste Heft erscheint, das ist meinem Genesungsprozeß geschuldet. Vielleicht ist dieses Heft auch das letzte, das erscheinen wird. Ich habe gelernt, dass alles noch viel relativer ist, als es den Anschein hat. Wir werden sehen, mein alter ego und ich.

 


 

 

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