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Das Internet ist schon längst der umfassendste Brunnen für Information, für Desinformation, für Nachrichten, Doktorarbeiten und was man noch so alles bedenken kann und auch ich leiste meinen Beitrag, indem ich den "Roten Punkt" schreibe und publiziere. Was aber selbst mir neu war und mich in nicht geringem Maße überraschte, ist, dass ich laut dem Gutachten, das Hans-Jürgen Papier, der ehemalige Vorsitzende des von mir hochgeschätzten Bundesverfassungsgerichtes, für ARD und ZDF erstellt hat, mit der Publikation des "Roten Punktes" Rundfunk betreibe. Es mag ja sein, dass der "Rote Punkt" eine abgerundete Sache ist und gelegentlich auch funkt, dass sich die Balken biegen, aber Rundfunk? Das Gutachten kommt ganz im Sinne der Auftraggeber zu dem Schluß, dass presseähnliche Erzeugnisse im Internet als Rundfunk einzustufen sind. So symphatisch mir der Gedanke ist, dass der "Rote Punkt" eben kein presseähnliches Erzeugnis ist, obwohl die Presse einer seiner wichtigsten Nährböden ist, der Gedanke an ein rundfunkähnliches Erzeugnis ist mir ebenso zuwider wie der Gedanke an ein presseähnliches Erzeugnis. Rein technisch gesehen, wäre ich durchaus in der Lage, den "Roten Punkt" auch in Form einer Radiosendung auszustrahlen. Meine Webcam hat ein gutes Mikro, Webserver und Datenbank sind installiert, nichts steht einem "Roter Punkt-Radio" im Wege ausser einem: Ich will nicht. Noch nicht jedenfalls. Doch der Gedanke ist verführerisch und so machte ich mich gestern auf den Weg, um ein geeignetes Rundfunkgebäude in unserem Dorf zu suchen, man weiss ja schließlich nie, wozu man das einmal gebrauchen kann. Für meine Zwecke würde ein ganz kleines Gebäude vollauf genügen und, ja glaubt mans denn, ich wurde gleich dreifach fündig. Jetzt habe ich die Qual der Wahl und alle drei Häuschen haben Vor- und Nachteile, es ist zum Verrücktwerden. Die gerade einigermßen überwundene Depression meldet sich schon wieder zu Wort und es bedarf meiner ganzen Willenskraft, um nicht erneut in dieser süßen Wohltat zu versinken. Denn so habe ich meine Depression durchaus erfahren, als eine süße Wohltat. Doch nichts da, jetzt wird der Blick fest in die Zukunft gerichtet und die Häuserjagd ist ein willkommenes Element auf dem Wege zur letztendlichen Gesundung. Das erste Häuschen traf ich bei unserem Rathaus an: Die Vorteile der Lage dieses Häuschens sind deutlich, für Interviews mit den Dorfoberen oder den Bankdirektoren brauche ich nicht weit zu laufen. Auch der Baustil, Fachwerkbau, ist durchaus beeindruckend. Die zentrale Lage am Rathausplatz bedeutet aber auch, dass ich hier keine Ruhe finden werde und Ruhe wird mir immer wichtiger. Ich kann mich noch so jung fühlen, ich kann noch so radikale Standpunkte vertreten, ich werde älter und das fordert seinen Tribut. Einundsechzig Jahre und kein bisschen weiser, das stimmt bis aufs I-Tüpfelchen, aber genau so stimmt der Satz, einundsechzig Jahre und ein bisschen ruhiger. Der Nachteile wegen kommt dieses Häuschen also nicht in die engere Wahl. Denn nichts wollen die durchschnittlichen Deutschen, von denen es hier jede Menge gibt, lieber, als ins Radio zu kommen und ich hätte keine ruhige Minute mehr. Ausserdem wäre es zu mir nach Hause eine halbe Stunde Fußweg und das könnte sich durchaus als Hindernis erweisen, schließlich bin ich nicht mehr der jüngste, obwohl ich immer zehn Jahre jünger geschätzt werde, als ich bin, was ich übrigens neben vielen anderen Dingen mit meiner Lotti gemeinsam habe. Das kindliche Erstaunen über den Lauf der Welt habe ich mir immer bewahrt und dieses Erstaunen nimmt mit zunehmendem Alter nur noch zu. Überraschen konnte mich nur sehr selten etwas und ich genieße diese Momente der Überraschung wie die Einsicht, dass ich machen kann, was ich will, ich betreibe in jedem Falle Rundfunk. Als Rückweg wählte ich den kaum genutzten Fußweg entlang der Pfinz, einem kleinen Fluß, der sich durchs ganze Dorf schlängelt:
Und an diesem Weg wurde ich gleich zweimal fündig, der Anblick zweier kleiner Häuschen streichelte mein verwöhntes Auge. Das erste Häuschen liegt direkt am Wehr, an einer auch kaum genutzten Fußgängerbrücke:
Ideal ist die ruhige Lage und auch die Möglichkeit, über die Sprossen direkt in den Wasserfall des Wehrs abzutauchen, wenn es heiss ist. Auch hat der romantische Anblick durchaus etwas für sich. Allerdings bin ich nicht mehr so sportlich und könnte also die Freizeitmöglichkeiten, die dieses Häuschen bietet, nicht nutzen. Die Sprossen rauf und runter, an den vielen Geländern herumturnen, ich sehe mich das nicht tun. Und so kommt dieses Häuschen leider auch nicht in die engere Wahl. Unverzagt setzte ich meinen Weg fort und etwas ausserhalb des Dorfes wurde ich noch einmal fündig:
Keine gefährlichen Sprossen, sondern eine komfortable Treppe, die zum hier ruhig strömenden Wasser führt, Drahtseile, die quer über die Pfinz gespannt sind und als Antenne gebraucht werden könnten, ein paar wenige Fußgänger und Radfahrer, die hier vorbeikommen, das alles liess sich schon gut an. Ob allerdings die Aussicht, dieses Häuschen mit dem BND teilen zu müssen, der hier offenbar einen Sitz hat, wie sich am Schriftzug unschwer erkennen lässt, als Vorteil gewertet werden kann? Ich könnte meiner Staatsbürgerpflicht genügen und dem BND beim Stöbern im Internet helfen, schon damit würde ich Rundfunk betreiben, denn ich liesse es mir nicht nehmen, dieses Stöbern live zu übertragen. Damit würde ich einem erzieherischen Auftrag gerecht, denn es ist höchste Zeit, dass die Leute endlich lernen, mit dem Internet umzugehen. Ein weiterer Vorteil wäre zweifellos, dass sich die Sympathiewerte des BND in astronomische Höhen entwickeln würden. Der größte Vorteil ist allerdings die Lage dieses Häuschens, es liegt ganz in der Nähe von unserem favorisierten Minigolfplatz/Biergarten, was sich jedoch zugleich als ein Nachteil erweist: Ich würde mehr Zeit im Biergarten verbringen, müsste für die Liveübertragung meinen Laptop einrichten und käme eigentlich gar nicht dazu, meinen rundfunkspezifischen Auftrag im Internet verlässlich zu erfüllen, denn im Biergarten hätte mich der BND nicht direkt im Auge, es sei denn, die netten Herren würden mit mir ein Bier trinken. Das geht aber leider nicht, denn erstens dürfen die in der Dienstzeit keinen Alkohol trinken, darüber könnte man aber noch hinwegsehen, schlimmer ist, dass sie dann auch Rundfunk betreiben würden, denn jeder, der mit mir Kontakt hat, betreibt auch automatisch Rundfunk im Internet, da ich alles live übertrage. So fällt auch die dritte und letzte Möglichkeit eines passenden Rundfunkhäuschens aus und mir bleiben nur zwei Konstatierungen: Herr Papier hat entgegen seiner Gewohnheit nicht nachgedacht, sondern ganz im Sinne seiner Auftraggeber begutachtet und ich betreibe bei näherem Hinsehen keinen Rundfunk, sondern lasse den "Roten Punkt" so weiter leben und sich entwickeln, wie er eben ist. Denn der "Rote Punkt" ist weder presseähnlich noch rundfunkähnlich, sondern schlicht und einfach eine künstlerische Äusserung. Deshalb bleibe ich zu Hause und äussere mich!
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